Der Güterbahnhof von Halle/Saale hat von je her eine große Bedeutung für Mitteldeutschland. Besonders zu Zeiten des "kalten Krieges" hatte man Bedenken, das einige wenige gezielte Treffer (oder Anschläge) auf neuralgische Bahnanlagen den gesamten Verkehr längere Zeit lahmlagen. Nordöstlich vom Gbf Halle befand sich genau solch ein "gefährdeter" Ost. An einem Brückenbauwerk kreuzten sich damals DREI Bahnstrecken. Mit einem gezielten Treffer oder Anschlag hätte man also die Bahnstrecken von Halle nach Magdeburg, nach Bitterfeld und nach Eilenburg blockieren können.
Um für derartige Situationen gewappnet zu sein, baute man im Osten von Halle zwei "strategische" Verbindungskurven. Mit diesen eingleisigen Strecken wollte man sicherstellen, das der Verkehr von und zum Güterbahnhof Halle auch bei teilweise oder ganz zerstörten Strecken/Brücken im Bereich Abzw. Ab (Abzweig Berlin) nicht vollständig blockiert/unterbrochen wird. Denn über die eingleisige Strecke von Peissen zum Gbf Halle konnte man dann die blockierten Strecken umfahren.
Wann genau diese beiden Kurven gebaut wurden, konnte ich nicht heraus finden. Auf historischen Luftbildern von 1953 ist von den Gleisen noch nichts zu sehen (auch keine Vorarbeiten).
Die "kleine Kurve"
Die kleine Kurve verbindet die Strecken von Halle nach Bitterfeld mit der Strecke von Halle nach Eilenburg. Im Bahnhof Hohenthurm war die strategische Kurve mit einer Weiche an das Hauptgleis Halle -> Bitterfeld angeschlossen. Das andere "Ende" der Kurve mündete nahe der Ortschaft Zwebendorf auf freier Strecke an das Streckengleis Reussen -> Halle. Beide Weichen waren verschlossene Handweichen.
Heute
Die Weiche im Streckengleis Reussen -> Halle war noch bis Mitte der 2010er Jahre vorhanden. Allerdings war eine Weichenzunge entfernt und das Gleis endete wenige Meter nach der Weiche im Nichts.
Von dieser "kleinen Kurve" ist 2024 fast nichts mehr zu sehen. Alle Gleis und Weichen wurden zurück gebaut und die Ackerfläche wird zu etwa 30 % wieder landwirtschaftlich genutzt. Teile der ehem. Trasse sind noch an Hand von Vegetation zu erahnen.
Die "große Kurve"
Die große Kurve verbindet die Strecken von Halle nach Köthen mit der Strecke von Halle nach Bitterfeld. Im Bahnhof Hohenthurm war die strategische Kurve mit einer Weiche an das Hauptgleis Landsberg -> Halle angeschlossen. Das andere "Ende" der Kurve mündete im Bahnhof Niemberg an das Ausziehgleis 3a. An der Stelle, wo das Gleis die B 100 quert, war das Gleis unterbrochen und es lagen Gleisjoche zum schließen der Lücke in unmittelbarer Nähe bereit. Im "Ernstfall" sollten Baupioniere die Lücke schließen, man nahm dabei die dauerhafte die Sperrung der B 100 in Kauf.
Heute
Beim ersten Umbau und Ertüchtigung der Strecke Halle - Bitterfeld im Jahr 1995 wurde auch der Bahnhof Hohenthurm völlig umgebaut - sprich zum Haltepunkt verkleinert. Mit diesem Umbau fiel auch der Anschluss an die strategische Kurve weg. Im Bahnhof Niemberg lagen die Gleise der Kurve noch etwas länger. Heute sind auch in Niemberg so gut wie alle Gleise der strategischen Kurve verschwunden. Durch Vegetation ist allerdings diese "große Kurve" noch deutlich in der Landschaft zu erkennen. Teilweise liegt in der von Gestrüpp und Bäumen zugewachsene Trasse noch Schwellen und Schienen.